Als Gärtnerin auf Wanderschaft

„Sie waren Schreiner, Maurer, Steinmetz, Schmied und ein Zimmermann, fast 1000 Jahre her, dass ihre Wanderschaft begann…“ Kennt jemand von euch vielleicht diese Zeile?
Das Lied „3 Jahre und ein Tag“ von dem Liedermacher Reinhard Mey, wo er über die Handwerker singt, die nach ihrer Ausbildung auf traditionelle Wanderschaft gehen, auch Tippelei oder Walz genannt? Aber was hat diese Info an euch in einem Kräutergärtnerei-Blog zu suchen?

Naja, liegt daran, dass ich, Anna, fremde und freie Gärtnerin, mich selbst gerade auf zünftiger Wanderschaft befinde und den April über hier in der Gärtnerei mitarbeite um selbst dazuzulernen. Jetzt wird sich bestimmt so mancher fragen: „Echt? Als Gärtnerin? Ich dachte, das machen nur Zimmerer, Maurer und Dachdecker?“

Tja, das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Jedes Handwerk, das es auch schon vor der Industrialisierung gab, kann (wenn gewollt) auf traditionelle Wanderschaft gehen.
Natürlich sind es viele Baugewerke, aber auch Buchbinder, Hutmacher, Schneider, Landwirte, Seiler, Köche, Brauer, Bäcker, Kunstgießer, Holzbildhauer und viele andere Gewerke mehr sind seit Jahr und Tag unterwegs.

Für jeden gelten die gleichen Grundregeln:
Sich ungebunden und frei (d.h. schuldenfrei, kinderlos, nicht verheiratet oder vorbestraft, ohne Handy (!) und unter 30 Jahren alt zu sein und seinen Gesellenbrief in der Tasche haben) für mindestens 3 Jahre und einen liebelangen Tag die Heimat zu verlassen und fort in die Fremde zu gehen um Länder, Leute und natürlich in dieser Zeit sein eigenes Handwerk tiefer kennenzulernen und auszubauen.

Jeder Geselle und Gesellin packt sein Bündel mit den nötigsten Habseligkeiten (man lernt seeehr schnell mit dem Allernötigsten auszukommen) was er oder sie zum Leben braucht und reist durch die Welt um Arbeit zu finden, sich dabei das nötige Kleingeld zu verdienen um wieder weiter reisen zu können.

Ein weiterer Irrglaube, der sich fest in den Köpfen vieler Menschen hält, ist, dass wir ausschließlich für Kost und Logis arbeiten würden. Trifft jedoch nicht ausschließlich zu. Die Zeiten mag es gegeben haben. Nach und während Kriegen, wo in keinem Haushalt das Geld gereicht hat. Aber erstens sind wir ausgebildete Fachleute und wollen gleichsam, wie jeder andere Mensch, angemessen für unsere geleistete Arbeit entlohnt werden. Zusätzlich könnte man sonst den fahrenden Gesellen gleichsam Lohndumping unterstellen und dafür ist zu viel Arbeitskampf durch frühere Wandergesellen angezettelt und gemacht worden. Also wäre es ein schlechtes Erbe, wenn wir unseren Ahnen auf diese Weise in den Rücken fallen würden.

Und zweitens, ohne ein paar Groschen geht es nicht auf der Straße. Auch wenn es uns nach unserem Regelwerk untersagt ist, Geld für das Reisen (deswegen wird entweder gewandert, oder wir halten den Daumen in die Luft und hoffen, dass ihr anhaltet und uns ein Stück mitnehmt) sowie Übernachtungen auszugeben, so müssen wir ja doch schließlich was essen. Wir leben nicht im Luxus und kommen mit wenig aus, aber irgendwann braucht man doch mal wieder eine neue Buchse, Schuhe oder Briefmarken für Postkarten an die Daheimgebliebenen. Woher nehmen, wenn man nicht stehlen will?

Wir verhalten uns ehrbar und löblich, sodass jeder andere Geselle, der uns irgendwann mal nachfolgt, wieder mit offenen Armen aufgenommen wird. Hütet euch nur ja vor Tunichtguten mit einem gespaltenem Ohrläppchen. Denn die haben es anscheinend einmal nicht sehr ernst mit dem guten Betragen genommen und ihnen wurde der dazugehörige Ohrring herausgerissen und damit auf ewig als Schlitzohren gebrandmarkt.

Ich selber bin jetzt fast 17 Monate unterwegs und habe die Zeit über in Deutschland das Land erkundet. Mal hier bei Privatleuten im Garten, bei Erntearbeiten im Herbst geholfen oder in einem anderen Kräuterschaugarten die Beete schön gemacht. Überall ist der Boden anders, mit welchen Pflanzen habe ich es zu tun, worauf kommt es bei der Arbeit an? Und zusätzlich so viele unglaublich nette Menschen kennengelernt und tolle Plätze und Orte gesehen, dass ich mich dadurch alleine schon so unglaublich bereichert fühle.
So auch jetzt schon durch meinen Aufenthalt hier über so manchen Weg in Horstedt bei Rühlemann‘s.

Meine Ausbildung mit der Fachrichtung Staudenbau habe ich im Botanischen Garten in Bonn gemacht. Vielleicht könnt ihr euch vorstellen, dass wir da nicht viel von der Vermarktung von Jungpflanzen direkt mitbekommen haben, da es eher um Park- und Beetpflege ging. Deswegen ist es für mich total spannend hier mit dabei zu sein. Wie läuft so eine Verkaufs- und Versandsaison in einem Produktionsbetrieb ab? Was für Arbeits-schritte sind da alles nötig, damit der Kunde am Ende ein tolles Produkt in Händen hält? Hochspannend!

Und natürlich, aber das muss ich euch ja überhaupt nicht nochmal sagen, dieses abgefahrene Sortiment. In Auszügen kenne ich doch schon so manches Pflänzchen, was ich hier als Vorkommissioniererin in die Hand nehme, auf die eine oder andere Art.
So wundervoll sind jedoch dann immer wieder für mich die tollen Überraschungen, die spontan um die Ecke kommen. Am meisten freue ich mich im Moment, wenn ich Javanisches Patchouli, Kardamom oder den Minzstrauch abpacken darf, so tolle Gerüche und ich brauche ab und an einen Moment länger um die perfekte Pflanze auszusuchen, nur um mich selber an ihnen erfreuen zu können.

Ich habe sehr viel Spaß hier. Leider bin ich nur den April in der Gärtnerei, denn im Mai wird es für mich mit einer befreundeten Gesellin auf in Richtung Frankreich gehen. Da wollen wir uns dann den Frühling und den Frühsommer mal umschauen. Ich möchte gerne an den Atlantik zu einem Salzbauern und mal mitbekommen, wie eigentlich unser allseits bekanntes Meersalz gewonnen wird. Und vielleicht schaffen wir es ja nach Grasse um uns von den Parfümölherstellern zur Lavendelernte anheuern zu lassen. Wir werden uns treiben lassen und schauen, wo uns der Wind hinweht.

Ich wünsche euch allen einen wunderbaren Gartensaisonstart mit tollen großen und kleinen Glücksmomenten und grüße euch mit einem Zitat von Wilhelm Busch, das uns Gesellen über die Zeit ein liebgewordener Sinnspruch geworden ist:

„Drum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!“

3 Kommentare zu „Als Gärtnerin auf Wanderschaft“

  1. Hallo Anna,
    ich finde Deine Aktion richtig richtig cool und habe vor solchen Abenteuern allergrößten Respekt, erinnert mich ein wenig an die Reisedoku „weit.“, auch wenn Du nun nicht um die ganze Welt wanderst 🙂 Auf solchen „Reisen“ lernt man nicht nur viel über den entsprechenden Beruf kennen, sondern insbesondere auch über sich selbst, andere Menschen und gar Kulturen und Traditionen (vor allem wenn es, wie in Deinem Fall, auch ins Ausland geht). Eine tolle Sache in der heutigen Zeit, die leider vor Hetze, Hass und Vorurteilen strotzt. Menschen wie Du helfen die Welt ein wenig besser zu machen, finde ich super. Schade, dass Du keinen Reiseblog führst, wäre sicher für viele Menschen interessant, aber schließlich sollst Du ja auf Handy, Internet und ähnliches Gedöns verzichten 🙂
    Alles Gute auf Deiner Reise!

  2. Hi Anna, schön dass Du angekommen bist! Vielen Dank für den schönen Artikel und die besten Wünsche für die Weiterreise! Enrico, der Löffelschitzer

  3. Hi Ho Anna,
    mein Großvater war Anfang des letzten Jahrhunderts wohl vor dem 1. Weltkrieg als Gärtner auf der Walz.
    Er ist von (damals) Danzig bis Koblenz gekommen.
    Seine Liebe zum Beruf hat er an mich weitergegeben.
    Schade, dass ich von dieser Wanderung nicht mehr weiß.
    Eine gute Zeit noch
    Doris aus Kassel

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